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Schon seit mehreren Jahren geistert mir eine Linie im Kopf herum, eine Linie entlang einer alten genagelten Techno-Tour von Werner Haim direkt an der Gamsgufel, der Westseite der Winklerwand. Steil, splittrig, kleingriffig, kurz gesagt bester Halltal-Karwendel-Kalk. Und genau hier, entlang einer stark überhängenden, bauchigen Kante hat sich Werner seinerzeit mit Hilfe von Normalhaken, Skyhooks, Trittleitern, Handbohrer und 6mm „Nägel“ über 2 Längen nach oben gearbeitet. Eine gewaltige Leistung, physisch, als auch psychisch.
Werner Haim, wurde in der Steiermark geboren, war geprüfter Heeres- und Zivilberg- und Schiführer und für viele Jahre in Absam stationiert. Das Karwendel wurde zu seiner Heimat, Erstbegehungen zum Beispiel auf die Gamskarspitze, den Falbachkartürmen oder der Überschallwand (Speckkarspitze) zeugen noch heute von der Abenteuerlust und der Liebe zu den Bergen und dem Karwendel.
Ich begann durch Werner mit dem Klettern, schon öfter hat er mir, nach ein, zwei Radler die Geschichte seiner ersten persönlichen Begegnung mit Werner erzählt:
„Ein Zufall brachte mich und Jud Christoph in unserer Kindheit zu Haim Werner.
Bei einer Bergtour Richtung Bettelwurf verlor ich meinen Alpenvereinswimpel, ein gewisser Herr Braun fand ihn und brachte ihn bei mir zu Hause vorbei. Er blieb auch gleich auf ein Bierchen bei meinen Eltern und wir redeten über Bergtouren.
Von diesem Zeitpunkt an nahm uns Herr Braun regelmäßig zu Bergtouren ins Karwendel mit.
Beindruckt von den hohen Wänden im Karwendel, träumten Christoph und ich immer wieder vom Klettern was nicht unbemerkt blieb.
Ich war zu dem Zeitpunkt circa 10 Jahre alt und hatte absolut keine Ahnung vom Klettern, war aber sofort begeistert von Herrn Brauns Vorschlag, seinen Kumpel zu fragen ob er nicht mit uns einmal klettern gehen könnte.
Als wir dann auch noch erfuhren, dass sein Kumpel niemand anderer als Werner Haim ist, schlugen unsere Herzen nochmal höher, denn Werner Haim war schon damals ein Begriff. Mehrere Bilder seiner tollkühnen Erstbegehungen zierten die Wände vom AV Heim und wurden von uns schon mehrfach bewundert.
Wenige Tage später standen wir auch schon mit Werner im Heeresklettergarten im Halltal. Er begrüßte uns mit dem Satz: „Grias enk! Seids es de zwoa Burschen de amal Klettern welln?“
Wir schauten ihn mit großen Augen an, und sagte n mit leiser Stimme: „Ja.“
Er holte aus seinem Rucksack drei Brust- und Sitzgurte von Edelweiß, sie waren Blau-Orange, ich kann sie heute noch ganz klar vor mir sehen. Angezogen und im Seil eingehängt gingen wir zur gelben Route. Nach einer kurzen Einschulung im Sichern, kletterte Werner einfach los, mit nichts anderem als ein paar Alukarabiner und selbst gebundenen Bandschlingen am Gurt.
Nach kurzer Zeit hörten wir „STAND!!“, was für uns das Zeichen zum Nachkommen war. Voller Vertrauen, aber auch etwas Ehrfurcht kletterten Christoph und ich nach. Das absolute Highlight war für uns aber an diesem Tag das Abseilen. Werner seilte uns über eine Dachkante ab, wo wir das erste Mal in unserem Leben frei über dem Abgrund hängten, ein unbeschreibliches Gefühl.
Wir gingen mit Werner des Öfteren im Heeresklettergarten klettern, wo er uns Seiltechniken und Knoten lernte. Auch wenn Werner und ich uns etwas aus den Augen verloren, er hat die Leidenschaft fürs Klettern in mir geweckt, und die ist bis heute ungebrochen.“
Durch diese langjährige Verbundenheit und in Anerkennung der großen bergsteigerischen Leistungen von Werner, aber auch in Anerkennung seiner herzlichen Persönlichkeit, war es mir ein großes Anliegen diese Tour ihm zu widmen.
Ziel für uns war es, so nah wie möglich an der Originallinie zu bleiben, jedoch einen frei kletterbaren Weg zu finden. Dazu haben wir die Linie mit Bohrhaken zusätzlich abgesichert, den Großteil der alten Nägel und Haken in der Wand belassen. Am ersten Tag (31.05.) unseres Unterfangens sanierten wir die beiden Längen von Werner und hängten diese zu einer einzelnen, ca. 27-30 Meter langen Seillänge zusammen. Von dort folgten wir der Wand gerade nach oben bis zu einer kurzen Traverse unter einem splittrigen Dach. Die dritte Länge ist recht kurz und stellt den Wechsel von der Westseite zur Südwestseite der Wand dar, das Gelände wird deutlich leichter, abgestufter und auch brüchiger. Die vierte und letzte Länge pusht nochmal 55 Meter am Stück nach oben und endet auf einem schmalen Podest direkt am Grat. Ca. 120 Meter Wandhöhe, aber deutlich mehr Klettermeter.
Müde, ausgezehrt aber glücklich, nach fast 7 Stunden Arbeit in der Wand, kehrten wir am frühen Abend heim, selten hat ein Radler besser geschmeckt.
Das zweite Mal in der Tour waren wir nur wenige Tage später. Am späten Nachmittag starteten wir los, ich kletterte die (neue) erste Länge technisch hoch, sicherte sich ab und machte sich an die Arbeit die Wand von losen Schuppen, Felsbrocken und ähnlichem zu befreien.
Im Anschluss blieb nur noch kurz Zeit für ein erstes Auschecken, ob die Linie so zu klettern ist, wie wir uns das gedacht haben, bevor wir schon wieder den Rückweg antreten mussten.

Am 16. Juni hatten wir endlich wieder Zeit uns nach der Arbeit für einige Stunden unserer Tour zu widmen. Technisch kletterten wir die ersten beiden Längen rauf um die zweite Länge zu putzen. Für mehr war an diesem Tag schon nicht mehr Zeit. Aber bereits 3 Tage später, am 19. Juni waren wir zurück und diesmal wollten wir uns einzig und allein dem Auschecken der ersten Seillänge widmen. Nach einigem Herumprobieren konnten wir den schweren Einstieg entschlüsseln, ihn in einem Stück aber zu klettern konnten wir uns noch nicht wirklich vorstellen. Die Griffe sind klein und abweisend und zum Steigen bietet sich auch keine große Auswahl an. Dafür war es uns bereits möglich den Rest der ersten Seillänge, d.h. vom „Henkel“ nach dem Einstieg bis zum Stand in einem Zug zu klettern und schätzten diesen Teil der 1.SL auf circa 8- ein. Wie sich das aber anfühlt, wenn man die deutlich schwereren ersten Meter noch dranhängt blieb noch offen.
Das schlechtere Wetter, vor allem die sommerlichen Nachmittagsgewitter verhinderten weitere Versuche unter der Woche, wir wurden beide schon etwas nervös, denn bald beginnt die Urlaubszeit und wir hätten mehrere Wochen am Stück keine Gelegenheit einzusteigen.

Samstag 28. Juni war es aber dann doch wieder soweit. Für den Tag hatten wir eigentlich etwas anderes geplant, die heftigen Schauer in der Nacht auf Samstag zwangen uns aber unseren Plan zu ändern, was sich in Nachhinein als goldrichtig herausstellte. Um halb neun in der Früh marschierten wir los, beide nicht sonderlich gut gelaunt, der Nebel hing noch voll in der Wand, vom sonst allgegenwärtigen Wind war nichts zu spüren und der Regen der Nacht versprach auch keine guten Bedingungen. Trotzdem wollten wir zur zweiten Länge hinauf um diese wenigstens einmal auszuchecken. Bevor wir einfach technisch über die erste Länge hinaufziehen, wollten wir doch nochmal den Einstieg probieren. Es war definitiv nicht leichter als wir es in Erinnerung hatten, noch dazu fühlten sich die kleinen Leisten und Seitgriffe recht schmierig an, umso überraschter waren wir, als sich ich nach ein paar Versuchen irgendwie an den rettenden Henkel wiederfand. Der Griff ist zwar gut, aber Tritte sind keine vorhanden, also kann man nicht lange rasten, sondern muss gleich weiter. Sechs schwere und vor allem instabile Züge an mittelmäßigen Griffen und winzigen Reibungstritten, bevor man endlich in einer Verschneidung steht und wirklich rasten kann. Von da an gab es kein Halten mehr, wir wussten, heute könnte es klappen.
Ich kämpfte mich zum Stand, die Unterarme fast gleich dick wie die Oberarme, aber das Lächeln in meinem Gesicht sprach eine ganz andere Sprache.
Jetzt lag es an Philipp. Er packte einen Rucksack mit allem was wir brauchen konnten, für den Fall, dass es heute bis ganz nach oben ging, und kletterte so schnell und kräftesparend wie möglich nach. Nach einer kurzen Rast am Zwischenstand startete Philipp in den Flash-Versuch der zweiten Seillänge. Zum Glück hatte Er damals so viel Zeit in das Putzen investiert. Wandkletterei vom Feinsten, mit der Schlüsselstelle nach circa 20 Meter, kurz bevor man zu einer rettenden Kante kommt. Dort beginnt die Wand etwas abzustufen und das Gelände wird deutlich leichter. Die letzten Meter bis zum Stand klettere Philipp wie in Trance, voll konzentriert aber innerlich von einem Ohr zum anderen lachend.
Jetzt war es Gewissheit, heute war DER Tag. Ich kletterte die dritte Länge, Philipp die Vierte. Die Wand war hier zwar noch stellenweise nass, aber das konnte uns nicht aufhalten. Glücklich saßen wir am Top, genossen die Sonne und schauten mehreren Wanderern zu, die gerade von Richtung Bettelwurfhütte herunterkamen. Der Rest war schnell erledigt, Abseilen, Rucksäcke packen, Projektschlinge entfernen, Tour provisorisch anschreiben, Abstieg, Bier.
Winklerwand West – Haim Werner Gedenkführe
Eingerichtet Mai/Juni 2014
erste freie Begehung: Zach/Wergles 28.06.2014
Wandhöhe: 120m
Exposition: W
Schwierigkeit: 9 (A0 7)
Zustieg: Durch das Halltal und weiter Richtung Bettelwurfhütte, der Einstieg ist direkt bei der „Gamsgufel“
Abstieg: Abseilen über die Tour
Beste Zeit: spätes Frühjahr/Sommer/Herbst
Die Tour ist sehr gut mit Bohrhaken abgesichert und kann in der 1. und 2.SL technisch geklettert werden. 14 Expressen und ein 60m Doppelseil sind empfehlenswert.
Achtung! Der Fels ist teilweise brüchig, alpine Erfahrung notwendig!
1.SL 9 (A0 7) 30m
2.SL 8- (A0 6+) 30m
3.SL 3 20m
4.SL 5- 55m
M. & P. Text: Philipp Wergles